Capsaicin - Schärfe
Capsaicin - Schärfe
Warum schmeckt die Chili scharf?
Die Schärfe in der Chili entstand wahrscheinlich durch eine symbiotische Beziehung der Pflanze mit Vögeln. Vögel sind die Hauptverbreiter der Samen, wenn sie die Chilis fressen und die unverdauten Samen ausscheiden. Vögel haben keine Rezeptoren, um die Schärfe der Frucht oder der Samen wahrzunehmen. Ganz anders dagegen Säugetiere, insbesondere Nager und Kletterer, die sich gerne an Früchten gütlich tun. Hier schützt sich die Pflanze durch den chemischen Stoff Capsaicin (welcher die Chilis scharf macht) vor dem Fraß durch Säugetiere. Denn wenn diese die Früchte essen, verändern sich die Samen bei der Verdauung so, dass sie nicht mehr keimen. Die Vögel hingegen scheiden einen Großteil der Samenkörner gut keimbar aus1. Dabei sind die Samen nach dem Ausscheiden auch mit deutlich weniger Pilzen und Keimen befallen und nahezu geruchsfrei, was sie wiederum gegen Fressfeinde schützt. Parallel dazu werden die Samenhüllen mechanisch im Muskelmagen und durch die Salzsäure im Drüsenmagen der Vögel "aufgeweicht", was ein leichteres Keimen ermöglicht. Im Grunde ist das eine Art Beizen. Andere Forschungen zeigen, dass die Pflanze sich durch den Capsaicingehalt vor Schimmelpilzbefall schützt, der insbesondere in den Tropen für Pflanzen ein häufige Gefahr darstellt2.
Die Scharfstoffe
Zu der Gruppe der Scharfmacher (Capsaicinoide) gehören Capsaicin, Dihydrocapsaicin, Homodihydrocapsaicin und Nordihydrocapsaicin. Diese zählen chemisch gesehen zu den Alkaloiden und werden ausschließlich von der Gattung Capsicum (Paprika und Chilis) hergestellt.
Capsaicin und Dihydrocapsaicin kommen am häufigsten vor (über 80 %) und werden auch am schärfsten wahrgenommen. Die Capsaicinoide unterscheiden sich in ihrer Wirkung: die Schärfe von Capsaicin und Dihydrocapsaicin brennt schnell im mittleren und hinteren Teil der Zunge sowie im Gaumen und ist langanhaltend; Homodihydrocapsaicin wirkt verzögert und nur im hinteren Mundraum; das Nordihydrocapsaicin ist milder, wirkt im vorderen Zungenbereich und klingt schnell ab.
Das Capsaicin entsteht in Drüsen der oberen Schicht der Plazenta der Chili; das sind die hellen Teile, an denen die Samenkörner hängen. Entgegen der landläufigen Meinung produzieren die Samen und das Fruchtfleisch selbst kein Capsaicin. Wenn sie trotzdem scharf schmecken, ist der Wirkstoff aus der Plazenta hinein diffundiert.
Die Schärfe verschiedener Chili-Arten und -Produkte wird nach dem Capsaicingehalt bestimmt und in Scoville-Einheiten angegeben (Scoville Heat Units – SHU).
Warum „brennt“ uns der Mund?
Genau genommen können wir Schärfe nicht „schmecken“ (schmecken können wir nur süß, bitter, salzig, sauer und umami*), sondern wir nehmen Schärfe über Nervenzellen wahr, die eigentlich für die Empfindung „heiß“ zuständig sind. Steigt die Temperatur im Mund über 43°C, z. B. wenn wir eine zu heiße Suppe essen, dann lösen die Rezeptoren der Nerven eine Schmerzempfindung im Gehirn aus. Außerdem werden durch diese echte Verbrennung Zellen im Mund zerstört, und wir haben noch tagelang ein taubes Gefühl im Mund.
Das Capsaicin hingegen wirkt auf diese Hitze-Rezeptoren mit einem Täuschungsmanöver: es setzt die Schmerzgrenze der wahrgenommenen Temperatur auf unter 37°C herab, sodass der Nerv dauerhaft das Schmerzsignal ans Gehirn sendet. Mit dem Ergebnis, dass Chili auf der Zunge genauso höllisch weh tut, wie eine viel zu heiße Suppe. Sie „brennt“! Da der Körper aber nur auf eine falsche Sinneswahrnehmung („zu heiß“) hereingefallen ist, vergeht das Schmerzgefühl ohne gravierende Nachwirkungen. Insofern ist auch die englische Sprache bei Schärfe etwas genauer als die deutsche: im Englischen ist „scharf“ und „heiß“ das gleiche, nämlich „hot“. Und noch einen Vorteil gibt es beim Genuss einer scharfen Chili: das Gehirn schüttet augenblicklich Endorphine (Glückshormone) zum Ertragen der Schmerzen aus. Scharf essen macht also glücklich: Man nennt das auch den „Pepper High“-Effekt.
Aber Vorsicht: Das Capsaicin brennt nicht nur im Mund, sondern auch auf der Haut, an den Schleimhäuten, in den Augen etc. Deshalb sollten Sie beim Verarbeiten scharfer Chilischoten immer Handschuhe tragen, auf keinen Fall in die Augen fassen, Hände, Messer und Geschirr gut reinigen und Kinder fern halten. Auch beim Kochen oder Mahlen können scharfe Dämpfe/Stäube entstehen, die Augen und Lunge reizen.
Was hilft, wenn’s brennt?
Wenn man bei der „Verbrennung“ durch Chilis einen Schluck kaltes Wasser trinkt und im Mund behält, nimmt der Schmerz kurz ab, um danach wieder mit voller Wucht zuzuschlagen. Warum ?
Der Körper reagiert auf das Löschen der vermeintlichen Verbrennung mit einem kurzen Nachlassen der Schmerzen. Da Capsaicin aber in Wasser kaum löslich ist, verbleibt der Schmerzauslöser im Mundraum und verursacht weitere Schmerzen. Viel besser helfen fetthaltige Lebensmittel: das beste Gegenmittel ist kalte Vollmilch, aber es gehen auch gut Joghurt, Milcheis, Mayonnaise oder Käse (das ist vielleicht auch der Grund, warum viele mexikanische Chiligerichte mit Käse überbacken werden).
Auch in Alkohol löst sich das Capsaicin leichter als in Wasser, deshalb helfen auch Bier, Wodka oder Wein besser als Wasser. Außerdem kann man die Schärfe im Mund mechanisch durch Brot entfernen; man schabt das Capsaicin sozusagen ab. Rezeptoren für Hitze/Schärfe sind alle Schmerznerven, und diese sind auch im Magen vorhanden. Somit kann es selbst im Magen noch ziemlich brennen, gerade wenn man sehr scharf auf nüchternen Magen isst. Ein Glas Milch hilft auch hier sehr schnell.
Die meisten Menschen empfinden gerade frische Chilis als besonders scharf; das liegt daran, dass man die Schoten gut kaut und somit das Capsaicin richtig in die Mundschleimhaut einarbeitet. Wenn man eine Schote im Ganzen runterschluckt, passiert im Mund nichts. Wenn man aber die Schoten zerkaut oder mitkocht, wird es richtig scharf. Dabei spürt und verträgt grundsätzlich jeder Mensch die Schärfe ganz unterschiedlich – manche Menschen mit empfindlichen Magen vertragen überhaupt keine Chilis, andere bemerken erst ab vielen tausenden Scoville eine leichte Schärfe.
Man gewöhnt sich an Capsaicin
Die Rezeptoren gewöhnen sich an das Capsaicin und der Körper reagiert mit der Zeit nicht mehr so stark auf den Stoff. Deshalb kann man mit etwas Training immer schärfer essen und so können Menschen aus Kulturen, in denen Chilis zum täglichen Speiseplan gehören, auch extrem scharfe Speisen verzehren. Nicht zum Nachmachen empfohlen ist das Training von Theodoros Kiapidis aus Lindau, dem Weltmeister im Chilischoten-Essen, der in einem Wettbewerb 438 Gramm einer Chilischoten-Mischung in nur 12 Minuten aufaß. Zum Trainieren hatte er sich jeden Morgen die Zunge mit 20 Tropfen Chilisoße eingerieben. Allerdings hat selbst er diese beeindruckende Menge an Chilischoten nicht gut vertragen und in der Nacht danach Magenkrämpfe und Durchfall bekommen. (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-128743717.html).
Weiterführende Literatur:
Roth, K. (2014): Chemische Leckerbissen. Wiley, Weinheim.
1Tewksbury, J. J. & Nabhan, G.P. (2001): Directed deterrence by capsaicin in chillies. Nature 412: 403-404.
2Tewksbury, J. J., K. M. Reagan, N. J. Machnicki, T. A. Carlo, D. C. Haak, A. L. Calderon-Penaloza and D. J. Levey 2008 The evolutionary ecology of pungency in wild chilies. PNAS 105 (33): 11.808-11.811.
*umami: Umami ist das japanische Wort für „herzhaft, wohlschmeckend“ und wurde als eigene Geschmacksqualität erstmals 1908 von dem Japaner Ikeda Kikunae beschrieben. Hervorgerufen wird dieser vollmundige Geschmack durch Glutaminsäure, einem natürlichen Glutamat (Geschmacksverstärker), das vor allem in proteinreichen Lebensmitteln (Fleisch, Käse, insbesondere Parmesan, Muscheln) vorkommt, aber auch in Pilzen, reifen Tomaten, Selleriesaat, Sojasauce etc.
Bild 1: Chiltepin, die Ur-Chili, deren beerenartige Früchte gerne von Vögeln gefressen werden © Chili Food
Bild 2: Strukturformeln von Capsaicin und Dihydrocapsaicin
Bild 3: Pain is good-Saucen
Inverkehrbringer
Name: | Chili-Food-Wissen |
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Sehr interessanter Artikel, schön geschrieben.
Guten Morgen,
Dieser Artikel holte mich ab
Mit freundlichen Grüßen
Capsaicin - Mit AHA - Effekt
Wer scharf ißt, sollte wissen, was er ißt.
Der Artikel gibt Antworten. Interessant und leicht verständlich geschrieben.
Capsaicin - Sehr guter Artikel
Das hat mich immer schon sehr interessiert, weil ich gerne scharf esse.
Der Artikel ist wirklich sehr gut und aufschlussreich!
Danke ;)